Namibia!
Ein wunderbares Reiseland. Wer hat nicht schon von dem Etoshapark mit seinen vielen interessanten Tieren wie Elefanten, Löwen und Giraffen, oder vom Caprivizipfel im Nordosten von Namibia mit seiner artenreichen Flora und Fauna gehört. Diese Ziele sind für den Individualreisenden oder den Pauschaltouristen gut über ausgebaute Asphaltstraßen zu erreichen. Weniger sind aber die Gebiete abseits der asphaltierten Reisebus-Straßen, die nur über Sandschotterpisten erreichbar sind, bekannt und noch weniger die kleinen Orte abseits dieser Straßen. Hier im Nordosten von Namibia an der Grenze zu Botswana ist die Kalahari, die Heimat der San-Buschleute, und die der Hereros.
Wenn der Namibia-Tourist auf seiner Reise zwischen den Nationalparks und den dort befindlichen Sehenswürdigkeiten in den kleineren und größeren Städten einen Aufenthalt in den wunderschönen Lodges hat, so wird er allen erdenklichen Luxus genießen können. Er wird Tankstellen und Supermärkte mit einer Auswahl an Produkten vorfinden, die unserem bekannten Standard in Deutschland entsprechen. Auch wird er überall in den kleinen Städten und Orten Hinweisschilder von Ärzten und Apotheken finden. Der interessierte Namibia-Tourist wird annehmen, dass die medizinische Versorgung der namibischen Gesamtbevölkerung gesichert ist.
Dieser Schein trügt, denn ein Großteil der namibischen Bevölkerung in diesem Teil der Kalahari verfügt nicht über die finanziellen Mittel, um an all dem teilhaben zu können. Durch die Erkrankung an HIV, Hepatitis und vor allem auch Tuberkulose ist vielfach die Elterngeneration schwer erkrankt oder verstorben. Der Großelterngeneration fehlt diese jüngere Generation als „Altersvorsorge“. Dazu kommt, dass sich die Großeltern nun auch um die Enkelkinder kümmern müssen. Oft übernimmt die ältere Schwester die Erziehung des kleineren Bruders. Die enorme Arbeitslosigkeit erledigt den Rest der Verarmung. Die wenigen staatlichen Kliniken sind finanziell, materiell und instrumental unterversorgt und können die Menge an Hilfsbedürftigen kaum bewältigen. Nur wer über finanzielle Mittel verfügt, kann die privaten Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen aufsuchen. Geht man nur wenige Schritte aus seiner komfortablen Lodge heraus, wird man unmittelbar mit der Armut und der Unterversorgung der Bevölkerung konfrontiert. Je weiter man in die Gebiete abseits der asphaltierten Straßen kommt, um so signifikant größer wird die Armut, die medizinischen Verhältnisse werden minimalistischer und die hygienischen Umstände katastrophaler.
Und genau hier, im Oktober 2018, war unser Einsatzgebiet: Die Kalahari-Wüste von Namibia an der Grenze zu Botswana. Wir, das sind mein Kollege und bester Freund Dr. Ivo Pfütz aus dem hessischen Braunfels, und ich, Dr. Christian Reiter aus Schrobenhausen. Unser Team bestand nur aus uns zwei Zahnärzten. Leider konnten für diesen Einsatz mit „Zahnärzte ohne Grenzen (DWLF)“ keine zahnmedizinische Assistenz gefunden werden, und die namibische Regierung lässt auch kein nicht ausgebildetes Personal in der Assistenz humanitär in Namibia arbeiten. Somit waren wir auf uns alleine gestellt.
Wir sollten in einem Gebiet tätig werden, wo über teilweise seit einem Jahr keine zahnärztliche Betreuung mehr stattgefunden hatte. Dementsprechend hatten wir unseren Einsatz über ein Jahr vorbereitet. Wir suchten Unterstützung bei Dentalfirmen, bei Apotheken und vor allem bei unseren Patienten. Die Resonanz für unseren „Zahnärzte ohne Grenzen“ -Einsatz war spektakulär. Es gab enorm viel Sach-, Altgold- und Geldspenden, so dass wir letztendlich mit vier, insgesamt über 90kg schweren Koffern, bepackt mit Anästhetika, Nahtmaterial, Füllungsmaterialien, Antibiotika, Schmerzmitteln, OP-Handschuhen, Mundschutzen, Desinfektionsmitteln etc. in Windhoek, der Hauptstadt von Namibia, am Hosea-Kutako Flughafen landeten. Hier übernahmen wir dann den von uns vorab organisierten vierradgetriebenen Toyota Hilux. Letztendlich kauften wir noch eine Unmenge 5 Liter Wasserkanister, Küchenrollen und Zahnbürsten ein. Zusätzlich zu der uns von DWLF zur Verfügung gestellten Behandlungseinheit hatten wir noch unsere eigene zahnärztliche „Bohrmaschine“, eine umfunktionierte elektrische Zahnbürste zum Anmischen von Füllungsmaterialien, eine Polymerisationslampe zum Aushärten von Kunststofffüllungen und unsere chirurgischen Lieblingsinstrumente dabei. Somit war unsere „mobile Praxis“ komplett und der Geländewagen bis obenhin voll bepackt. Nach ca. 450 km erreichten wir die Stadt Grootfontein. Hier sollten wir später noch für drei Tage im Umkreis von ungefähr 100 km sternförmig mehrere Orte anfahren und in kleineren Stationen, u.a. bei dem Stamm der Hereros arbeiten. Zunächst ging es aber am nächsten Tag ca. 300 km weiter in den Osten in Richtung Botswana in die Kalahari. Hier passierten wir die Veterinärgrenze, eine Grenze, die quer durch den Norden Namibias verläuft, um die Tierseuchen, ausgehend aus dem Norden, von Namibias Farmenland fernzuhalten. Nun waren wir im ärmsten Teil von Namibia angelangt, in dem unter anderem das Volk der Buschleute, die San, heimisch sind. Die einzige Lebensader zum Wohlstand ist die etwas weiter abgelegene Teerstraße.
Wir errichteten unsere „mobilen Behandlungsräume“ in
- einem Hospital, das seit 28 Jahren von einer Schweizer Ärztin aufopfernd geleitet wird,
- in einem von rumänischen Christen errichteten Kinderheim,
- und in mehreren kleinen Kliniken, weit abgelegenen Gesundheitsstationen zur Versorgung der an HIV, Hepatitis und an Tuberkulose erkrankten Menschen.
In all diesen Einsatzorten in der Kalahari und später in den weiteren Einsatzorten im Gebiet um Grootfontein waren die hygienischen Verhältnisse katastrophal, kein sauberes, fließendes Wasser vorhanden und die medikamentöse Versorgung völlig unzureichend. Gleichwohl stand bei all diesen Einrichtungen trotz des eklatanten Mangels der bewundernswerte Wille der Mitarbeiter/innen, zum Helfen im Vordergrund.
Wir bauten unsere „mobile Praxis“ in immer wieder unterschiedlichen Standorten auf, bestehend aus unseren „Bohrmaschinen“, Absauganlage, chirurgischen Instrumenten, Materialien und Medikamenten. Unser Behandlungsstuhl war ein einfacher Hocker oder Stuhl, auf den sich unsere Patienten setzten. Über Stirnleuchten und Lupenbrillen beleuchteten wir uns die zu behandelnden Münder. Meistens mussten wir leider die stark kariösen Zähne extrahieren. Aber auch Füllungen konnten wir legen und somit den Erhalt der Zähne sichern. Wir arbeiteten jeder für sich allein oder halfen uns bei Bedarf gegenseitig. Abends, nach geleisteter Arbeit, reinigten wir alle unsere Instrumente und sterilisierten diese anschließend in unserem transportablen Sterilisationsgerät.
In mehreren Kinderheimen und Stationen übergaben wir Spenden, die wir dankenswerterweise von unseren heimischen Patienten in Deutschland erhalten hatten. Diese Spenden kommen 1: 1 in Afrika an. Zum Dank verabschiedeten uns die Kinder in den Kinderheimen oft mit einem traditionellen Lied oder Tanz.
Außerdem hatte mein Freund und Kollege sehr viele Brillen in seinem Gepäck. Diese Brillen hatte er vorab von seinen Patienten zu Hause bekommen. Über eine Lesetafel konnten nun die mit Zahnschmerzen geplagten Patienten sich auch noch eine passende Brille aussuchen. So verließen uns hoffentlich viel Menschen ohne Zahnschmerzen und einige davon zusätzlich mit wieder verstärkter Sehkraft.
Neben Stiften und Spielbällen hatten wir auch noch Modellierluftballons im Gepäck, aus denen wir gerade für unsere kleinen Patienten lustige Luftballontiere in verschiedenen Farben bastelten. Und natürlich hatten wir auch Zahnbürsten dabei, die wir unter den Patienten verteilten.
Besonders beeindruckt hat uns ein sehr alter, blinder Mann vom Stamme der San. Sein Blindenstock war ein abgenutzter, schmutziger alter Besenstiel. Seine Zehen waren mit zerfetzten Mulllappen verbunden, jene hatte er sich vermutlich aufgrund seiner Behinderung mehrfach verletzt. Wir extrahierten diesem Mann drei seiner stark zerstörten Zähne, während er ausgiebig und fortwährend lachte. Nach unserer Behandlung hörten wir den Mann mit den anderen wartenden Patienten laut sprechen. Auf unsere Nachfrage hin, da wir seine Sprache nicht verstanden, wurde uns auf Englisch übersetzt, dass er noch nie in seinem ganzen Leben so schmerzfrei und dabei noch ohne Kosten behandelt worden sei, sich freute und für die Behandlung dankbar war. Kopfschüttelnd und immer noch laut redend und lachend verließ er die Klinik. Wir selbst waren sprachlos und unsere Gedanken sind bei diesem alten San, was musste er wohl alles erlebt haben…
So arbeiteten wir an vielen unterschiedlichen Orten unter sehr rudimentären Bedingungen, in einer atemberaubend schönen Landschaft, unter immer äußerst netten und freundlichen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft.
Zum Schluss unseres Einsatzes besuchten wir noch die Zahnstation in der staatlichen Klinik von Grootfontein und die hier arbeitende angestellte Zahnärztin, eine äußerst engagierte und versierte, junge namibische Kollegin. Wir übergaben ihr alle unsere nicht benötigten Materialien, wie z.B. Antibiotika, Schmerzmittel, Anästhetika und Füllungsmaterialien. Besonders wertvoll empfand sie auch die rotierenden Diamantbohrer, die man zum Beschleifen der Zähne benötigt. Fast beschämte uns das überglückliche Lachen unserer afrikanischen Kollegin über die für uns selbstverständlichen, notwendigen und standardmäßigen Arbeitsmaterialien.
Leider ging die Zeit viel zu schnell vorbei, der Abschied nahte und wir mussten wieder zurück nach Windhoek und Namibia Lebewohl sagen.
Sehr viel Gepäck hatten wir auf dem Hinflug nach Namibia in unseren Koffern. Auf dem Rückweg aber waren unsere „Koffer“ mit den gewonnenen Eindrücken, den Erlebnissen und den Erfahrungen viel, viel größer „gepackt“. Wir sind dankbar dafür, dass wir diesen Einsatz machen durften.
Unser Dank gilt natürlich unseren Familien, die auf einen gemeinsamen Urlaub verzichtet hatten und uns unseren Einsatz „machen ließen“.
Gleichwohl gilt unser Dank unseren Sponsoren wie mehreren, großen Dentalfirmen, vor allem aber auch Herrn Apotheker Hanns-Jörg Schultes von der Rathaus-Apotheke in Schrobenhausen, der uns mit einer sehr großzügigen Medikamentenspende ausstattete.
Und natürlich gilt unser besonderer Dank vor allem aber unseren Patienten, die uns mit vielen guten Wünschen und Interesse, vor allem aber auch mit großer finanzieller Unterstützung auf den Weg geschickt hatten.
Ohne Sie alle wäre unser humanitärer Einsatz in Namibia nicht möglich gewesen.
Herzlichen Dank!